Germany
A Family of the Industrial Ruhr (1958)
Der Film wurde 1958 als Film für den Gebrauch in amerikanischen Schulen gedreht. Er zeigt bzw. suggeriert das typische Leben einer Industriearbeiterfamilie im Ruhrgebiet am Beispiel einer realen „Kruppianer”-Familie in der Stadt Essen.
Warum wurde ein solcher Film gedreht und warum wurde er so gedreht? In den amerikanischen Schulen hat man in den Jahren von 1945 bis 1970 in großem Umfang Filme im Unterricht eingesetzt. Thematisch befassten sich diese Filme mit allen Bereichen des Schulwissens und des sozialen Lebens. Ziel war die sogenannte “mentale Hygiene”. Die Filme sollten der Auflösung tradierter moralischer und sozialer Normen entgegenwirken, das Verhalten der jungen Zuschauer formen und prägen und sie zu vorbildlichen amerikanischen Staatsbürgern heranziehen.
Gleichzeitig ist für den Film das damalige Verhältnis zwischen USA und Deutschland sowie das Bild der Deutschen in den USA von Bedeutung. Während des Zweiten Weltkriegs entstanden in weiten Kreisen der US-amerikanischen Bevölkerung relativ fest gefügte Negativbilder über Deutschland. Hitler und das nationalsozialistische Regime wurden in gewisser Weise zur Faszination des Bösen. Die USA suchten damals, Westdeutschland durch Entnazifizierung, Entmilitarisierung, und Entflechtung der Industrie nach ihren Vorstellungen zu „erziehen”. In den folgenden Jahrzehnten und vor allem in den 1950er-Jahren blieb jedoch die kritische Auseinandersetzung mit dem „Dritten Reich” in den USA ein Thema, das zahlreiche Filme und Romane, aber auch wissenschaftliche Ausarbeitungen beherrschte.
Parallel hierzu begann nach Kriegsende eine emotionale Kommunikation mit den Deutschen. Bereits während der Besatzungszeit ließ sich das zunächst sehr rigorose Fraternisierungsverbot für die amerikanischen Soldaten schon bald nicht mehr halten, da die “normalen” Deutschen, denen sie begegneten, dem Klischee des “bösen” Deutschen nicht entsprachen. Die US-Bürger sahen darüber hinaus die materielle Not der deutschen Bevölkerung, mit der sie oft durch verwandtschaftliche Beziehungen verbunden waren. In großem Umfang suchten sie diese Not durch persönliche Unterstützung, z. B. durch die sogenannten Care-Pakete, zu lindern. In den 1950er-Jahren setzte in der Bundesrepublik der wirtschaftliche Wiederaufschwung ein. Das “Wirtschaftswunder” rief in weiten Kreisen der amerikanischen Gesellschaft Respekt hervor, denn das Verhalten der Deutschen entsprach den eigenen Lebens- und Zielvorstellungen. Zugleich fühlten sich die USA in gewisser Weise auch bestätigt in ihren Bemühungen um die von ihnen nach dem Krieg angestrebte Erziehung der deutschen Bevölkerung zur Demokratie. Und nicht zuletzt. Die Bundesrepublik war ein wichtiger Verbündeter im „Kalten Krieg”
Vor diesem Hintergrund ist der Film “Germany – A Family of the Industrial Ruhr” zu sehen. Im Mittelpunkt steht eine als typisch präsentierte deutsche Familie im Ruhrgebiet, die mit ihrem Fleiß die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes verkörpert. Der Film zeigt ihren Tagesablauf vom Aufstehen in der Frühe über die Arbeit des Vaters, den Schulbesuch der Kinder und das häusliche Leben bis zum Abend. Die Familienmitglieder werden dabei in ihrem Verhalten, der Situation in der Schule und während der Arbeit, überhaupt im ganzen sozialen Gefüge nicht nur gezeigt, sondern auch verbal beschrieben und erklärt. Das geschieht in sehr vereinfachter, eben für schulische Zwecke geeigneter Form, die uns heute zum Teil überspitzt anmutet. Warum hat man eine „Kruppianer”-Familie gewählt? Vielleicht deshalb, weil speziell Krupp als “Waffenschmiede des Dritten Reiches” galt und weltweit bekannt war. Vielleicht aber auch, weil sich das Unternehmen durch seinen spektakulären Wiederaufstieg, der mit dem allgemeinen deutschen Wirtschaftsaufschwung parallel lief, zumindest für einen Teil der amerikanischen Bevölkerung von einem Symbol der Ablehnung zu einem der Zusammenarbeit entwickelt hatte.
Felix Hartelt, Historisches Archiv Krupp, Essen
Filmografische Angaben:
Auftraggeber: McGraw-Hill Book Company Inc., New York/Text-Films including Young America Films
Produktionsjahr: 1958
Format: 16-mm-Lichtton
Farbe: schwarz-weiß
Sprache: Englisch
Laufzeit: 15’13“
Beratung: Educational Consultant Kate M. Miano; Curriculum Coordinator Bureau of Curriculum Research New York City, Board of Education
Produzent: Alfred Wegg Pictures and Audio Productions, Inc.
Drehorte: Essen, Mülheim an der Ruhr u. a.
Archiv: Historisches Archiv Krupp, Essen
Kontakt:
Historisches Archiv Krupp
Villa Hügel, Hügel 1
45133 Essen
Prof. Dr. Ralf Stremmel / Felix Hartelt, M.Sc.
archiv@hak-krupp-stiftung.de